And I really need you now tonight – mit dieser Song-Aussage sind die Girls vom Jungen Schauspiel Hannover gestern in den Abend gestartet. I really need you.
Die Mädchen, die sich da auf der Bühne die Seele aus dem Leib tanzen, scheinen niemanden zu brauchen, sind genug mit sich selbst beschäftigt. Kann man Weib-lichkeit ohne männlichen Gegenpart konstituieren? Die Gruppe zeigt: Man kann. Denn was Männer können, können Mädchen schon lange: Sie können sich so klei-den wie sie, mit übergroßem Jackett, sie können so trinken wie sie, sie können sich so bewegen wie sie; sie fassen sich in den Schritt, stilisieren die Bierdose im Tanz zum heiligen Requisit, sie können so hemmungs-los ficken wie sie; sie pfeifen auf die Männer, indem sie Kondome zu zerplatzenden Astronautenhelmen aufbla-sen und die Kerle nicht mal mehr zum Küssen brau-chen.
Ist girls! girls! girls! damit eine Kampfansage? Eine Emanzipationserklärung? Die Ausrufezeichen stören, denn eigentlich ist das Stück der Hannoveraner viel-mehr eine Ohne-Satzzeichen-Produktion, ein spieleri-scher Versuch, Mädchen-Sein, Weiblichkeit zu fassen – und damit letztendlich auch die eigene Identität. Biogra-phien, die auf ein Flipchart passen: Name, Alter, Größe, Gewicht, Berufswunsch. Irgendwann beginnt die Ver-bindlichkeit dieser scheinbar feststehenden und simplen Größen zu bröckeln: Das Gewicht wird ausgelassen, der Berufswunsch durchgestrichen und neu versucht, irgendwann steht da nur noch der Name.
Die Spielerinnen probieren zu dramatischer Orchester-musik unterschiedliche Posen aus, immer mehr, immer eiliger, bis ihr Spiel schließlich zu einem immer schnel-leren Positionswechsel wird: Wenn eine umfällt, wird sie eben ersetzt.
Die neun jungen Frauen aus Hannover rufen verschie-dene Bilder, Klischees, Vorurteile zum Thema Frau-Sein auf und erproben sie auf unterschiedliche Weise an sich selbst. Was bedeutet Fitnesswahn? Workout mit Kick-boxen und Po-Übungen? Oder küsst man sich lieber gegenseitig die Erdbeertorte aus dem Dekolleté? Ein-zelbilder verschmelzen zu Gruppenbildern, Zufallsbe-wegungen zu Tanzchoreographien; man lässt sich Küs-se von einer Zitrone verpassen.
Das alles hinterlässt einen starken Eindruck beim Zu-schauer. Wegen des Engagements. Wegen der Stärke. Wegen des Muts. Da darf es auch mal ein Zuviel sein: zum Beispiel an Feminismus-Topoi (oder warum wurde da ein rotgetränkter Tampon ausgesaugt?) oder an Selbstberührung; aber eben kein Zuviel an Schreien, Schubsen, Hopsen. Denn dieses Zuviel hat dem Stück gestern mehr als einmal das Potential zur Zartheit ge-nommen, ebenso wie die fast immer gleich energiege-laden-schnulzige Musik, die doch so irgendwie gar nichts mit Mädchen von heute zu tun haben schien; während die ruhigen Momente des Stücks im zweiten Teil dann eher lähmend als bloß verlangsamend wirk-ten.
War das die volle Weiblichkeit, die da gestern auf die Bühne gebracht wurde? Das bleibt fraglich, weil offen bleibt, welches Frau/Mädchen-Sein noch neben Stö-ckelschuhen und Schönheitsidealen möglich ist; ob wirklich nur die Playback-Isolation auf einem Podest bleibt, wenn man als Mädchen eben nicht diese be-wundernswerte Stärke hat, mit der das Ensemble aus Hannover gestern dem Publikum entgegen getanzt ist.
Zitat:….“während die ruhigen Momente des Stücks im zweiten Teil dann eher lähmend als bloß verlangsamend wirk-ten.“
trifft es das nicht haargenau? ist es nicht eine Art Lähmung, die mit dem Erwachsensein einsetzt? warum? und wielange hält sie bei jedem von uns an? befreien wir uns davon wieder? wann? wie? haben wir es überhaupt wahrgenommen?
wo bleibt die unendliche Energie, die uns als Jugendliche zu allem befähigt hat? mal Hand aufs Herz: wer unter den Schon-lange-Erwachsenen trauert ihr nicht nach?
Zitat:….“offen bleibt, welches Frau/Mädchen-Sein noch neben Stö-ckelschuhen und Schönheitsidealen möglich ist; ob wirklich nur die Playback-Isolation auf einem Podest bleibt,…“
diese Frage stellen sich zumindest wohl viele Frauen nach der Vorstellung: wo bin ICH gelandet mit MEINEN Idealen, meinen Träumen? ist dies wirklich mein Platz im Leben?
wohl nicht ohne Grund fließen bei so einigen Zuschauerinnen über dreißig die Tränen, wenn beim Ave Maria die Stimmung so beklemmend wird – aber auch Jugendliche berichteten schon von einem „Kloß im Hals“…
Ja, dieses Stück ist sehr gehaltvoll.
Ich werde es mir auch noch ein x-tes Mal ansehen, weil es immer noch etwas zu entdecken gibt,bevor es dann demnächst leider abgespielt wird.
Mädels, Ihr seid Prinzessinnen!!!Und Euer Mut zur Auseinandersetzung mit all Euren Themen bewahrt Euch sicher ein gutes Stück weit davor, zu Fröschinnen zu degenerieren.
Also,bleibt laut (aber nicht:lauter, geläutert – so wird es doch häufig gesteigert, oder?),denn wer will schon auf den Traumprinzen warten, der,wie man ja aus Geschichten weiß,einen nicht unerheblichen Preis für´s Freiküssen verlangt! lol
standing ovations
Liebe(r) Herr/Frau Petersen
Natürlich kann jede Wirkung eines Stückes interpretiert und gerechtfertigt werden. Wichtig in einer Szenenbeurteilung ist jedoch die Darstellungsleistung und nicht der Metapherngehalt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass eine Doppelt- und Dreifachwiederholung der Modelsequenz, in der die Akteure in ihre Vorbildspose schlüpften, vor allem auf Grund fehlender Steigerung auf viele „lähmend“ gewirkt haben muss.
Außerdem denke ich kaum, dass die Schauspieltruppe aus Hannover sich tagelang den Kopf darüber zerbrochen hat, wie sie den Zuschauer am besten langweilen kann.
Dazu war das Stück zu unterhaltend und temporeich.
Ich stimme mit Lydia voll überein, wenn sich die Frage nach dem präsentierten Frauenbild stellt.
Da wird eine Person als Außenseiter etabliert, die sich später komplett in das Showlaufen um die beste Identität, bzw. Modelpose einbinden muss. Inwiefern die Kritik in diesen Bildern dadurch bestehen bleibt ist höchst fraglich.
Zur Lähmung: Nein, ich bin keine Schon-lange-Erwachsene, aber die neun Hannoveraner Spielerinnen eben auch nicht, und deswegen hoffe ich für sie, dass sie die laut S. Petersen mit dem Erwachsensein einsetzende Lähmung weder kennen noch zeigen wollten. Denn wäre das nicht eine gruselige Vorstellung: dass einem als Erwachsenenm (was heißt das überhaupt: erwachsen …) irgendwann nur noch lähmendes Posieren übrig bleibt? Es stimmt natürlich: Mit dem Erwachsenwerden nehmen immer mehr Aufgaben, Pflichten, Entscheidungen und Perspektiven einen Platz im eigenen Leben ein, die übergroß und lähmend wirken können. Diese Lähmung durch eine Lähmung des Zuschauers selbst spürbar zu machen, wäre auch ein durchaus legitimes Mittel, denn „Darstellungsleistung“ und „Metapherngehalt“ (um mal mit den Moritz-Begriffen zu operieren) kann man eben nicht so einfach trennen. Jedenfalls bin auch gerade ich ein Fan von so was, man lese bei Interesse meine Rezension von „Amoklauf mein Kinderspiel“/Inszenierung HOT/ ttj09 (http://blog.theatertreffen-der-jugend.de/rezensionen/amoklauf-mein-kinderspiel-der-amoklaufer-in-mir/). Aber meiner Ansicht nach gelingt es dem Ensemble vom Jungen Schauspiel Hannover nicht, diese lähmenden Bilder im zweiten Teil tatsächlich als theatrales Mittel nachvollziehbar zu machen. Der Zuschauer langweilt sich und tut sich schwer damit, dieses Posieren mit dem schnellen, ernergie-geladenen tanz im ersten Teil in Verbindung zu bringen.
Zum Frauenbild: Zitat S. Petersen: „diese Frage stellen sich zumindest wohl viele Frauen nach der Vorstellung: wo bin ICH gelandet mit MEINEN Idealen, meinen Träumen? ist dies wirklich mein Platz im Leben?“ Das mag sein; das Problem ist nur, dass die acht Spielerinnen, die im ersten Teil des Stücks eben auf keinem Playback-Podest singen, sich diese Fragen (in ihrer Inszenierung) nicht stellen. Sie finden ihre Antworten mit diesem Stück: haben ihren (zumindest vorläufigen) Platz, auf der Bühne, und stehen da mit ihren Idealen, ihren Träumen, ihrer Stärke, ihrem Sex-Appeal. Meine Frage war, was den Frauen bleibt, die keine solche Stärke der Welt und den Männern entgegensetzen können, die nicht im kurzen Kleid ihren Mann stehen können. Denn diese Frauen haben in dem Bild von Weiblichkeit, was uns das Ensemble vom Jungen Schauspiel Hannover da bietet, keinen Platz, letztendlich wird auch die geistige Stärke, die eine Frau haben kann, ausgeblendet.
Mutig, frech und erotisch waren die Frauen-Figuren, die dem Publikum in dieser Inszenirung gezeigt wurden. Deswegen bleibt für mich das Fazit: Die Hannoveraner Spielerinnen haben Weiblichkeit auf die Bühne gebracht – aber nicht die volle.